Abiturrede des stellvertretenden Schulleiters Michael Kuntz
Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, verehrte Eltern und Angehörige,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrter Herr Marohn, lieber Rüdiger Prasuhn!
Was ist das Ziel einer Abiturrede? Es ist das Zurückblicken, es sind die Glückwünsche,
der Dank und eine letztmalige Belehrung – die finale Chance, erzieherisch Hand an euch anzulegen, liebe Abiturientinnen und Abiturienten. Das Zurückblicken überlasse ich den beiden Schülern, die sprechen werden.
Beginnen möchte ich mit den Glückwünschen für das bestandene Abitur, verbunden mit Tausend guten Wünschen für euer weiteres Leben und Gottes Segen. Ich habe großen Respekt vor euren Leistungen und ihr dürft stolz sein – alle dürfen das, egal ob 1,0; 2,4 oder 3,8.
Ihr selbst müsst denen danken, die euch dreizehn Jahre unterstützt haben: euren Eltern, die sich klugerweise für das Willigis entschieden haben, euren Verwandten und Freunden.
Ich sage „Danke“ allen Kolleginnen und Kollegen, die euch begleitet und gefördert haben – insbesondere euren Stammkursleiterinnen Frau Krauthausen, Frau Berger, Frau Dr. Rupp-Dillinger und euren Stammkursleitern Herrn Brill, Herrn Seeger und Herrn Stanger.
Und jetzt komme ich zur Erziehungsdusche, zur letzten Chance, euch Nochschüler zu „pädagogisieren“. Zum letzten Mal bittet ein Lehrer euch um eure Aufmerksamkeit. Die Aufmerksamkeit für:
1. Das Füreinander-Dasein,
2. die Freude am Leben und
3. das Vorbildsein.
Das Füreinander-Dasein meint: Lebe nicht für dich selbst! Zeig Interesse für den Nächsten und für den Anderen. Profitiere, aber gib auch ab. Unser letztjähriges Schul-Motto „Achtsamkeit“ hat genau das in den Vordergrund gerückt! In einer zunehmend konsumorientierten und egoistischen Gesellschaft gilt es, Gegenpole zu setzen mit Werten wie Akzeptanz, Zivilcourage und Vorurteilsfreiheit.
Ich spreche ein großes Wort gelassen aus, weil ich fest daran glaube: „Das, was die Welt wirklich im Innersten zusammenhält, ist das Dasein für Andere – wenn ich mit mir selbst im Reinen bin.“ Nicht das egomanische Streben eines Faust.
Wie aber kann das Dasein für Andere konkret funktionieren? „Opfert“ eure Zeit für andere, engagiert euch ehrenamtlich, so wie ihr es – die Beiblätter der Zeugnisse dokumentieren dies sehr eindringlich – bisher auch in der Schule getan habt. Geht mit offenen Augen und Ohren durch die Welt, hört zu und sprecht miteinander! Diese scheinbar so leichte Tätigkeit!
Ob soziale Netzwerke ein aktives und empathisches „Zuhören und Miteinandersprechen“ zulassen? Whats App ist kein Werkzeug des Teufels, aber es ist defizitär und oberflächlich. Das Gesicht des Gegenübers, sein Tonfall, der situative Kontext ist nur schwer elektronisch vermittelbar.
Eine weitere Gelingensvoraussetzung für das Füreinander-Leben ist mein zweites F:
Die Freude am Leben, die Kunst des Lobens!
Wir sollten doch die barocke Sicht auf das Leben als „Jammertal“, die tiefe irdische Daseins-Resignation längst aufgegeben haben und uns freuen, zu leben, zu lernen, zu arbeiten, Freizeit zu haben! Wir leben, so scheint es, in einer Meckerwelt, in einer Nörgelkultur, in einer Kritikgesellschaft. Die Nachrichten sind negativ, strahlen Pessimismus aus. Skeptisch zu sein, gilt als geistvoll; eine milde und wohlwollende Haltung, und das finde ich grotesk, gilt als naiv.
Wir konzentrieren uns auf Fehler. Gleichzeitig sehnen wir uns nach Lob und Anerkennung. Und Deutschland, so geht es aus Umfragen hervor, gilt als „Lob-Wüste“! Die „Lob-Lücke“ ist hierzulande offenbar doppelt so groß wie im europäischen Durchschnitt.
Haben wir doch den Mut zu loben: frei nach Horaz: LAUDARE AUDE – auch wenn es nicht leicht ist, wie der deutsche Maler Anselm Feuerbach sagt: „Tadeln ist leicht, deshalb versuchen sich so viele darin. Mit Verstand loben ist schwer, darum tun es so wenige.“
Warum ist es so schwer zu loben, obwohl wir um die Kraft des Lobens wissen?
Weil wir die Leistung eines anderen neidlos anerkennen müssten? Weil ich selbst zu wenig Lob erfahre? Weil wir um den Ausgleich des Nichtgelobten fürchten? Weil wir eine BelohnungsSUCHT fürchten, die nach immer höheren Reizniveaus schreit?
Wahrhaftes Loben will doch nur das Gute sagen. Unsere Rücksicht und Umsicht gestattet es uns doch, Loben vom Schleimen oder Schönreden abzugrenzen, Loben von opportunistischem Gerede zu unterscheiden. Lob zählt, laut dem Neurobiologen Henning Scheich, zu den stärksten psychoaktiven Stimulanzen! Gelingt ein Lob, fühlen wir uns glücklich. Scheich spricht davon, dass unser internes Belohnungszentrum anspringt, Endorphine, die „körpereigenen Opiate“, ausgeschüttet werden!
Loben gelingt dann, wenn es ehrlich, gerecht, also moralisch gerechtfertigt ist und wenn es genau ist – also begründet und beschreibend, nicht pauschalisierend. Es gelingt, wenn es von Respekt getragen ist. Es sollte ein uneingeschränktes Lob sein – ohne den versteckten Vorwurf mit „aber“ und „endlich“: Also nicht so: „Klasse, endlich ist mal der komplette Jahrgang pünktlich zu den mündlichen Abitur-Prüfungen gekommen.“
Lob gelingt, wenn es individuell ist, wenn es die persönlichen Bemühungen im Blick hat. Und daher freue ich mich besonders für die unter euch, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, die bis zum Schluss gekämpft haben. Ich freue mich, dass ihr das Abitur mit dem, was ihr persönlich einsetzen wolltet und eingesetzt habt, geschafft habt.
Lob darf nicht wahrheitsverdeckend sein. So sieht es auch der Schriftsteller Max Frisch:
„Man sollte dem anderen die Wahrheit wie einen Mantel hinhalten, dass er hineinschlüpfen kann, und ihm die Wahrheit nicht wie einen nassen Lappen um die Ohren schlagen.“
Loben statt Tadeln: Tadel stößt ab, Lob schafft Motivation und Klima! Es beseitigt Verunsicherungen. Sollte – rückblickend auf eure Schulzeit – das Tadelnde überwogen haben, was ich mir gar nicht vorstellen kann, wäre dies sehr schade. Aber es wäre Grund genug, dass ihr es in eurem eigenen weiteren Leben ändert.
Ich komme zu meinem dritten und letzten „F“: dem Vorbildsein.
Bisher habt ihr als Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene vom Vorbild anderer profitiert. Dies wird auch weiter so bleiben. Wir alle haben Vorbilder, an denen wir uns bewusst oder unbewusst orientieren. Jetzt aber seid ihr in einem Alter angekommen, in denen ihr selbst Vorbilder werdet, Maßstäbe und Werte setzt, an denen sich andere orientieren. Ihr gestaltet zukünftig unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft, unsere Politik, unsere Bildung, unsere Kultur. Freut euch auf diese Verantwortung, geht sie mutig, bewusst und selbstsicher an.
An den Schluss meiner Rede will ich ein Zitat stellen, welches uns alle hier vereint: die, die euch bisher erzogen und gebildet haben, und euch, die ihr jetzt in diese Aufgaben hineinwachsen werdet: Es stammt von Karl Valentin, dem Münchner Komiker, Schauspieler und Autor:
„Wir können unsere Kinder nicht erziehen, sie machen uns sowieso alles nach.“
Zur (endgültigen) Verabschiedung:
Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, ich darf euch bitten aufzustehen!
Der Zeitpunkt ist gekommen, an dem ihr nun endgültig euer dreizehnjähriges Schüler-Leben hinter euch lasst: So wie ihr vor 9 oder 10 Jahren mit eurem Scout-Rucksack in das Foyer hereingekommen seid, wir euch beim Namen gerufen und auf die Bühne gebeten haben, um als Willigis-Schüler aufgenommen zu werden, so entlassen wir Sie jetzt als Ehemalige des Willigis. Gehen Sie jetzt hinaus als Ehemalige Willigis-Schüler.
Sehen Sie Einander, Leben Sie für Einander und Loben Sie Einander!
Das Leben ist viel zu kurz, um missmutig und tadelnd zu sein!
Michael Kuntz
stv. Schulleiter
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