Das Bischöfliche Willigis-Gymnasium in Mainz ist eine staatlich anerkannte Jungenschule mit einer über 150-jährigen Tradition in der Trägerschaft des Bistums Mainz. Seit dem Schuljahr 2019-20 haben wir uns von einer G8GTS-Schule weiterentwickelt zu einem G9-Gymnasium mit einer Ganztagsschule in Angebotsform nach dem rheinland-pfälzischen Modell. Im Schulverbund angegliedert ist eine traditionelle, koedukative Realschule (7-10) mit Übergangsmöglichkeiten in die Oberstufe des Gymnasiums.
Jungen als Verlierer in der pädagogischen Landschaft: Wir machen aus Jungen SIEGER.
Wer kennt nicht die provozierenden Thesen in der Pädagogik: „Eine Schule ohne Jungs ist ein Paradies“, „Jungen sind Störfaktoren und Verlierer“. Es wird von der pädagogischen „Jungenkatastrophe“ und dem „überforderten Geschlecht“ geschrieben. Bei uns klingt das anders: Wir kümmern uns um Jungs!
Ja, es gibt geschlechtsspezifisches Verhalten. Nein, kein Geschlecht muss defizitär bleiben. Mit einer kompensatorischen und emanzipatorischen Pädagogik bieten wir unseren Jungen Zeit und Raum, durch eine werteorientierte Erziehung im Sinne unseres christlichen Menschen- und Weltbildes ihre eigene Persönlichkeit zu finden. Wir eröffnen unseren Schülern Chancen zu einem selbstverantwortlichen Umgang mit ihrem Rollenverständnis – in dem (empirisch nachgewiesenen) Wissen, dass Jungen nicht dümmer sind als Mädchen. Die Ursachen für deren schulische Defizite liegen nicht im Bereich der kognitiven Fähigkeiten, sondern u.a. in einer weniger ausgeprägten Anstrengungsbereitschaft und mangelnderSelbstdisziplin.
Jungs ticken anders. Was ist „anders“ an Jungen?
- Jungen zeigen sehr häufig ein Dominanzverhalten. Sie raufen, kämpfen, inszenieren sich („rough and tumble play“). Sie setzen sich eher nicht dank der richtigen Worte durch. Erst nach den Positionskämpfen, die von Schülern als „Spaßkämpfe“ wahrgenommen werden, tritt eine Beruhigung und damit eine Offenheit für das Lernen und Zeigen sozialer Kompetenzen auf. Jungen zeigen diese Konflikt- und Behauptungskommunikation als Beziehungsklärungen auch gegenüber ihren Lehrkräften. Sie meinen es aber in den seltensten Fällen persönlich.
- Jungen brauchen und suchen Bilder und Vorbilder als Motive für ihr Handeln und ihr Engagement. Sie suchen sogar grandiose Vorbilder. Diese Grandiosität von Jungen kann für schulische Erfolge sorgen, wenn sie in die richtigen Bahnen gelenkt wird. Frei nach dem Motto: „Nur wenn du scheitern kannst, ist etwas interessant.“
- Jungen besitzen eine ausgeprägte Handlungsorientierung, die in einer Erlebnislust und einem stärkeren experimentellen Problemlösen zum Ausdruck kommt. Sie sind objektorientiert, verwenden eine berichtende Sprache, eben eine objektbezogene Sprache – im Gegensatz zur Beziehungsorientierung der Mädchen. Objektorientiert suchen sie auch einen Erstkontakt z. B. über Fußball-Ergebnisse, Smartphones, Autos etc.
- Jungen sind wettbewerbsorientiert, sie wollen sich auch im Unterricht messen.
- Jungen provozieren häufig. Die Provokationen, Mittel zum Ausloten von Grenzen, sind in der Regel nicht bösartig gemeint. Sie sind ein wichtiges Mittel ihrer Kommunikation. Das weibliche Geschlecht verfügt eher über ein Anpassungs-Syndrom, Jungen wählen den Weg über eine Differenz(en)-Kultur, einer Anpassung über den Widerstand. Auch eine Konfliktbeziehung ist eine Beziehung.
- Jungen denken in Regeln, in Systemen. Diese Regeln müssen klar und unmissverständlich sein, transparent und fair. Gute Chancen, dass diese Regeln eingehalten werden, gibt es, wenn sie mit Beteiligung der Schüler gemeinschaftlich erarbeitet und aufgestellt werden.
- Jungen fordern klare Verhältnisse: erkennbare, transparente Haltungen und Einstellungen, konzeptionelle Klarheit und Strukturen („Alle Lehrer ziehen an einem Strang!“), eine prägnante, eindeutige Sprache sowie ritualisierte Abläufe.
- Jungen haben einen starken Bewegungsdrang, der für einen größeren Lernerfolg auch im Fachunterricht, erst recht aber auch außerhalb Berücksichtigung finden muss.
- Jungen sind geprägt durch eine „anomische Selbstinszenierung“: Es gilt als uncool, Leistungen in der Schule zu erbringen und Anstrengungen zum Erreichen eines Lernerfolgs zu zeigen.
- Das SELBST der Jungen steht im (krassen) Widerspruch zu ihrer schulischen Identifikation in einer zunehmend feminisierten schulischen Sozialisation – sowohl bezogen auf die weibliche Dominanz in der Erziehung als auch auf die Unterrichtsinhalte, -methoden, die erwarteten Verhaltensweisen und Kompetenzen.
Was aber fängt man im Schulalltag mit diesen Beobachtungen an? Der folgende Einblick in den Alltag unserer Jungenschule zeigt den pädagogischen Weg des Willigis-Gymnasiums in Mainz, aus den Bildungsverlierern Gewinner zu machen: Schwächen von Jungs zu kennen und darauf mit Förderung und Entwicklung der besonderen Stärken und Talente zu reagieren.
Unsere Jungen gestalten und verantworten Schule mit
Schule und Unterricht werden in unserem Gymnasium nicht von einer kleinen Gruppe entwickelt, sondern liegen in der Verantwortung der gesamten Schulgemeinschaft, also auch in der der Schüler. Das Mithandeln, Mitentscheiden und Mitverantworten stellt einen wesentlichen Erziehungsauftrag von der Orientierungsstufe bis zur Oberstufe dar:
- Mitarbeit der Schülervertretung in der für Schul- und Unterrichtsentwicklung zuständigen Steuergruppe sowie in den einzelnen thematischen Arbeitskreisen,
- Schülersanitätsdienste: Über 30 ausgebildete Schüler sind in jedem Schuljahr im Einsatz, um Verletzte und Kranke zu versorgen,
- ausgebildete Mediatoren schlichten Streit: Konflikte haben nicht nur negative Seiten. Sie bieten auch die Chance, eine selbstbewusste Persönlichkeit zu entwickeln, sofern Konfliktsituationen konstruktiv ausgetragen werden,
- Schülerassistenten als Schlüssel- und Ordnungsdienste,
- Klassenrat von 5-9 als pädagogisches Mittel zur Regelung und Gestaltung des Zusammenlebens und zum Training der Sozial- und Kommunikationskompetenzen,
- Leiter bzw. Co-Leiter von Arbeitsgemeinschaften,
- Medienscouts,
- Leiter unserer schulischen Jugendgruppen (GCL und KSJ),
- Organisation und Durchführung sozialer Projekte (z. B. Flüchtlings- und Obdachlosen-Hilfe, Spendenläufe etc.),
- Fördermaßnahme „Schüler helfen Schülern“
Unsere Jungen emanzipieren sich, entdecken und entfalten ihre Stärken …
- im Fachunterricht
- mehr „Aufschneiderei“ zulassen (im Sinne der oben erwähnten „Grandiosität“),
- mehr jungenspezifische Themen einbringen,
- mehr Mut zur Überforderung („Nur wenn ich scheitern kann, ist etwas reizvoll!“),
- mehr lernfördernde Bewegung konzeptionell in den Unterricht einbauen,
- handlungsbezogenes Lernen ermöglichen (Erlebnislust und experimentelles Problemlösen berücksichtigen),
- Unterrichtsmethoden, -inhalte und – themen auf ihre „Jungentauglichkeit“ prüfen,
- nicht nur bitten, auch „klare Ansagen“ im Sinne eines autoritativen Stils machen,
- verhandeln statt „Empathie- und Konsensterror“, Differenz-Kultur zulassen,
- Gruppenorientierung nutzen: Jungen lernen, weil Klassenkameraden es machen,
- eine jungengerechte Leseförderung.
- beim Fremdsprachenlernen nach einem jungengemäßen Konzept
- Beginn mit einer FS Englisch in Klasse 5, erst in 6 kommt Französisch oder Latein dazu. Ab Klasse 8 kann eine 3. FS (z. B. Spanisch) als Wahlpflichtfach gewählt werden,
- jungenspezifische Themen und Texte im Fremdsprachenunterricht (Objekt- statt Beziehungsorientierung),
- Bildungs- und Austauschprogramme als Unterstützung des Fachunterrichts,
- Teilnahme an Fremdsprach-Wettbewerben,
- Erwerb von Fremdsprach-Zertifiakten
- im musikalischen Bereich
- Bläser-, Streicher- und Gesangsklassen, keyboardunterstützter Musikunterricht,
- Knabenchor WilliKids, Oberstufen-Chor, Lehrer-Eltern-Chor, Ensemble 7/8 Symphonieorchester, Big Band,
- Probe-Intensiv-Phasen, Konzerte und Konzertreisen.durch Befrieigen
- im naturwissenschaftlich-technischen Bereich
- Tag der Physik / Tag der Mathematik (Hochschulbesuche),
- Informatik / Robotik / Technik: Wettbewerbe, Vorlesungen, AGs, Hochschulbesuche,
- Schüler experimentieren / Jugend forscht,
- Leistungskurse in allen naturwissenschaftlichen Fächern / NAWI als Wahlpflichtfach in der Mittelstufe.
- im Umgang mit modernen Medien
- sehr gute Ausstattung im IT-Bereich,
- flächendeckende iPad-Klassen ab Jahrgangsstufe 7 am Gymnasium,
- Smartboards oder digitale Tafeln in allen Fachsälen und Klassenräumen,
- Medienerziehung: „Lehren und Lernen in einer digitalen Welt“.
- durch Befriedigen des jungenspezifischen Bewegungsdrangs
- 3. Sportstunde, Sport-AGs, Teilnahme an sportlichen Wettbewerben,
- Schulsport-Verein,
- „Aktive Pause“, „Rauf-Pause“,
- Spiel- und Tobgeräte auf den Pausenhöfen,
- Sport-Projekttage in der 9. Klassenstufe,
- Sportturniere für Unter- und Mittelstufen-Klassen,
- sport- und erlebnispädagogischorientierte Klassen- und Kursfahrten (Ski, Segeln, Outdoor-Aktivitäten, Football-Weekend in London …).
Unsere Jungen machen ihre ERLEBNISpädagogischen Erfahrungen in und mit Gruppen – und oft auch in der Natur
- GET-OUT: „Gemeinsame Erfahrungen im Team organisieren – unterwegs trainieren“. Drei Tage Erlebnispädagogik, bei dem die Jungen den Weg, das Essen und das Lager selbst organisieren,
- Vater-Sohn-Tage, Eltern-Kind-Tage (Bogenschießen / Kanufahren / Klettern),
- Jugendgruppen GCL und KSJ, Gruppenstunden und Sommerzeltlager,
- Projekttage unter erlebnispädagogisch-naturverbundenem Aspekt.
Unsere Jungen erleben und leben christlichen Glauben und Haltungen
- Der Name unserer Schule „Willigis“ ist uns Verpflichtung und Auftrag. In dem für alle verbindlichen Religionsunterricht reflektieren wir offen und kritisch-solidarisch den christlichen Glauben und die menschliche Existenz,
- Feiern und Mitgestalten von Gottesdiensten der Schulgemeinschaft, einzelner Jahrgänge, einzelner Klassen,
- Morgengebete und -impulse sowie Kreuze, Kapelle als sichtbare Zeichen gelebten Glaubens,
- Schulfeiertage,
- Besinnungstage in den Stufen 9 und 12 zum Thema „Ich-Findung“,
- Jahresmotto für jedes Schuljahr: „Seid mutig-seid stark“/„Mut zur Freundlichkeit“/„Achtet (auf-) einander“,
- christliche Jugendgruppen GCL und KSJ,
- 4-wöchiges Sozialpraktikum,
- Erleben von in der Schule vorgelebten christlichen Werten,
- Gesprächsangebote der Schulseelsorge und unseres Schulpsychologen als besondere Fürsorge für unsere Schüler.
Unsere Jungen werden individuell und fürsorgend betreut
Am Willigis-Gymnasium legen Fach- und insbesondere Klassenlehrer großen Wert auf eine fürsorgende, individuelle Begleitung der persönlichen Entwicklung unserer Schüler. Wir sprechen über und mit Schülern.
- Pädagogische Konferenzen finden durchgehend von Klasse 5 bis 10 statt,
- in den Klassen 7 bis 10 führt der Klassenlehrer mit jedem Schüler ein oder zwei Entwicklungsgespräche pro Schuljahr,
- die Klassen- und Stammkurslehrer führen Übergabegespräche zwischen der 6. und 7. sowie der 9. und 10. Klasse,
- zentrale Gesprächsangebote für Eltern werden zweimal pro Schuljahr gemacht: Elterngesprächstag im November, Elternsprechtag im Februar,
- Schulseelsorge und Schulpsychologe sind Gesprächspartner für unsere Schüler.
Unsere Jungen werden auf Beruf und Studium vorbereitet
- schuleigene Berufs- und Studienbörse,
- 2- bis 4-wöchiges Betriebspraktikum,
- 4-wöchiges Sozialpraktikum,
- Besuch von Universitäten und Hochschulen, projektorientierte Zusammenarbeit mit Hochschulen,
- eigenes, auf Jungen bezogenes Methodencurriculum für schulisches Lernen – mit Blick auf spätere Berufs- und Studienanforderungen.
Unsere Schüler also „Gewinner“ nach 8 bzw. 9 Jahren Jungengymnasium?
Erziehungsziele mit Ergebnissen und Zahlen evaluieren zu wollen, ist schwierig. Ob wir den richtigen Weg gehen, sagen uns unsere Schüler z. B. in der Abiturrede 2017:
„Wir reden jetzt schon ´ne ganze Weile, aber ein elementarer Pluspunkt dieser Schule hier wurde noch nicht erwähnt: die Jugendgruppen GCL und KSJ: Es ist ein bisschen so wie Pfadfinder – nur halt in cool. Verantwortung mit einer eigenen Gruppenstunde, Arbeiten im Team, viele Bekanntschaften und neue Freunde. Das Jahr wird bereichert durch Zeltlager und zahlreiche kleinere Veranstaltungen – immer wieder auch für wohltätige Zwecke. (…)
Zu guter Letzt das Wichtigste: die Gemeinschaft. Man kennt sich, man grüßt sich. Jeder hat hier seinen Platz, seine Rolle und wird so akzeptiert, wie er ist. Man wird hier nicht einfach fallen gelassen. Das liegt an der Schulseelsorge und an den vielen Lehrern, die nicht über, sondern hinter den Schülern stehen. Auch die Musik verbindet; zum Beispiel im WSO oder in der PFG.Es liegt am freundschaftlichen Umgang unter den Jungs und auch die Schulleitung hat mit Sicherheit keinen kleinen Anteil an diesem ganz besonderen „Willigis-Klima“. Danke für die Freunde, die wir hier gefunden haben. Danke für die uns eröffneten Möglichkeiten. Danke für die zweite, dritte und zehnte Chance in der Mittelstufe.“ (Vincent Ritter)
Michael Kuntz