Konzepte

Hier finden Sie verschiedene längere Artikel von uns Schulseelsorgern, in denen wir aus unterschiedlichem Anlass grundsätzliche Überlegungen zum Konzept von Schulseelsorge formuliert haben. Bitte beachten Sie den jeweiligen Entstehungszeitpunkt und den Anlass für den der jeweilige Artikel geschrieben wurde.

Auszug aus der Jahresschrift 99/2000


Die fiktive und dennoch wahre Geschichte eines Schülers und der Schulseelsorge

“Es wird mal wieder Zeit, dass die Schulseelsorge in der Jahresschrift erscheint“, so die Aufforderung an mich. Ich möchte keine theoretische Abhandlung liefern, sondern vielmehr meine persönlichen Eindrücke als Pastoralreferent schildern., der seit zwei Jahren am Willigis-Gymnasium und an der Willigis-Realschule als Schulseelsorger tätig ist. Wichtig ist mir zu betonen, dass ich für diesen Bereich nicht allein zuständig bin, sondern im Team mit Pfr. Hock, Pfr. Knöll und der Erzieherin Frau Althaus zusammenarbeite.

Stellen wir uns einen Schüler während seiner Zeit am Willigis vor. Nennen wir ihn Willi. Willi wurde also von seinen Eltern am Willigis angemeldet, vielleicht weil es eine gute Schule ist und die Eltern die beste Ausbildung für ihr Kind möchten, vielleicht weil das Willigis eine gute katholische Tradition hat und schon der Vater an dieser Schule war, vielleicht auch weil es eine Schulseelsorge gibt und es den Eltern wichtig ist, dass das Kind nicht nur Wissen lernt, sondern auch tiefer blickt und in der Kirche eine Heimat findet. Willi wird das auch alles mehr oder weniger interessieren, viel wichtiger ist ihm aber, auf welche Schule seine Freunde oder seine älteren Geschwister gehen.

Nun ist also der erste Schultag und Willi kommt mit seinen Eltern in den Dom zum ökumenischen Eröffnungsgottesdienst. Pfr. Knöll und Pfr. Hock haben ihn zusammen mit einer nun 6. Klasse vorbereitet. Im Gottesdienst wird ihm Mut gemacht; Willi sieht, welche Angebote es gibt und er hört, wie toll die Schule ist: “Sogar Teppichboden in der Schule, wo gibt’s denn sowas?!“ Die Schulleitung hört diesen Text nicht zum ersten Mal und es wird ihr auch nicht zum ersten Mal etwas mulmig bei so viel Eigenlob. Aber die beiden Schulpfarrer lassen sich von diesen Bedenken wenig beeindrucken, sie wollen den Kindern Vertrauen in die Schule geben und sie auch etwas fröhlich in die kommende Zeit entlassen, da kann auch etwas Eigenlob nicht schaden. Dies ist für Willi der erste von vielen Schulgottesdiensten im Dom. Zur Schuleröffnung, zu den Schulfeiertagen am 8. Dezember und am 23. Februar und zur Schulentlassung wird er Jahr für Jahr zum Gottesdienst eingeladen. Dazu kommen die “kleineren“ Gottesdienste an den katholischen oder evangelischen Feiertagen Allerseelen, Buß- und Bettag und Aschermittwoch. Nicht zu vergessen die Klassengottesdienste in der Kapelle der Schule, wo sich seine Klasse im Kreis versammelt und eine ganz eigene Atmosphäre möglich ist.

Vielleicht sind die Gottesdienste nicht das wichtigste an der Schulseelsorge, auf jeden Fall aber sind sie die Veranstaltungen mit der größten Öffentlichkeit und schon allein deshalb wichtig. Die Gottesdienste sind fast die einzigen Gelegenheiten, wo wirklich die gesamte Schulgemeinschaft, alle Lehrer und alle Schüler, zusammenkommen (zumindest theoretisch). Bei der Vorbereitung stellt sich dann auch oft die Frage, in welche Kirche wir gehen. Denn im Dom ist es schwierig, da der Altarraum doch recht weit von den Bänken entfernt ist und andere Kirchen sind oft zu klein. Allerdings ist das Problem, dass unsere Gottesdienste zu voll sind, eines, um das uns viele Gemeinden beneiden.

Eine schwierige Frage ist meines Erachtens die Frage nach der Gottesdienstpflicht am Willigis. Einerseits verliert eine kirchliche Gemeinschaft, und als solche verstehe ich auch eine katholische Schule, einen wesentlichen Kern, wenn sie nicht mehr zusammen Gottesdienst feiert, andererseits verlangt ein Gottesdienst die Freiwilligkeit. Zumal man auf Dauer bei Kindern und Jugendlichen, die man zum Gottesdienst zwingt, vielleicht das Gegenteil von dem erreicht, was man möchte. Es bleibt, dass auch wir am Willigis von den “Zeichen der Zeit“ betroffen sind. Religiöse Angebote gleich welcher Art werden nicht mehr selbstverständlich wahrgenommen, wir können dafür nur werben und immer wieder die angemessene Mischung von Locken und Drängen finden.

Kurz vor oder nach den Herbstferien findet die Sextanerwerbung statt. Willi weiß zwar noch nicht genau, was das sein soll, aber er hat gehört, dass er für die Gruppenstunden geworben werden soll, und in eine Gruppenstunde will er auf jeden Fall. Und dann kommen sie auch: KSJ, GCL und SMJ, jeder Verband hat ein anderes Thema. Willi wird mit seinen Klassenkameraden aus den Klassenräumen entführt, gezerrt, gelockt, sie sind im Wilden Westen oder Men in Black oder die Helden von Star Wars und erleben eine Probegruppenstunde; sie lernen die neuen Gruppenleiter kennen und werden zum “Bunten Nachmittag“ eingeladen. Als Willi sieht, dass man in der Schule sogar Fußballspielen kann, sind seine letzten Zweifel beseitigt, und er weiß auch schon, zu welchem Gruppenleiter er will. Sicherheitshalber geht er aber zu zwei Bunten Nachmittagen, weil es bei den anderen auch etwas zu gewinnen gibt. Am Ende klappt dann alles so, wie er es sich vorstellt. Sein Lieblingsgruppenleiter bietet die Gruppenstunde an einem Nachmittag an, an dem auch Willi kann, und von nun an geht er wöchentlich in die Gruppenstunde der “KCJ“. (Ich weiß, diesen Verband gibt es nicht, aber ich will ja neutral sein).

Ich glaube, dass die Arbeit der Jugendverbände GCL, KSJ und SMJ viel zur guten Atmosphäre unter den Schülern beiträgt. Wenn ich es recht sehe, gibt es in der Schule relativ wenig Prügeleien, viele Schüler habe Kontakte auch über ihre Klasse und Altersstufe hinaus. Ein Fundament, welches zu einem guten Teil auch durch die Arbeit der jugendlichen Gruppenleiter gelegt wird. Die Kinder und Jugendlichen schließen in den Gruppenstunden Freundschaften und lernen viel mehr Eigenverantwortlichkeit und soziale Kompetenzen als dies jemals im Unterricht möglich wäre. Sie spielen und sie reden, sie lernen zu streiten und sich zu einigen, sich durchzusetzen und Rücksicht zu nehmen.

Willis Eltern wurden beim ersten Elternabend auch die Bereiche der Schulseelsorge vorgestellt. Und nach einigen Wochen erinnern sie sich an das Angebot des Mittagessens und der Hausaufgabenbetreuung. Wenn Willi Gruppenstunde hat, ist es für ihn einfach praktischer, in der Schule zu essen. Außerdem haben seine Eltern gemerkt, wie mühsam es ist, ihn zu den Hausaufgaben zu motivieren, denn was in der Grundschule noch gut zu bewerkstelligen war, ist nun zu einer ständigen Streitquelle geworden. Willis Eltern sind froh, dass er in der Schule von der Erzieherin Frau Althaus, Lehrern und Oberstufenschülern bei den Hausaufgaben beaufsichtigt und motiviert wird. Und Willi merkt, dass bei manchen Aufgaben die älteren Schüler am besten helfen können, zumal er die meisten auch ganz nett findet.

An vielen Schulen wird ein ähnliches Angebot von der Schulleitung oder einigen Kollegen selbst organisiert; am Willigis ist dies ein Bereich der Schulseelsorge. Unabhängig von den praktischen Vor- und Nachteilen dieser Lösung ist diese Arbeitsaufteilung für das Profil von Seelsorge ein deutliches Zeichen. Seelsorge, die Sorge um den Menschen, muß immer wieder auch ganz praktisch sein. Ich selbst kenne die Versuchung, das Geistige, Thematische höher zu schätzen. Wenn mir dann das Beispiel vom barmherzigen Samariter einfällt, wird mir wieder bewußt, dass derjenige den Willen Gottes erfüllt, der das Notwendige tut und nicht nur im Gebet oder theologischen Höhenflügen versunken ist. Man kann beides nicht gegeneinander ausspielen. Immer wieder wird in der Bibel Gott als ein Freund der Armen gesehen und auch die Kirche hat sich immer um caritative Aufgaben gekümmert. Nun ist Armut heute in Deutschland etwas anderes als noch zu biblischen Zeiten, und am Willigis sieht die Situation auch noch einmal anders aus. Aber auch die Schulseelsorge am Willigis hat die Aufgabe, denen zu helfen, die in Not sind, gleich welcher Art diese Not ist.

So verbringt Willi sein erstes Schuljahr, er ist mehr oder weniger erfolgreich im Unterricht, besucht mit Freude die Gruppenstunde und die Klassengottesdienste, lernt am Gedenktag des heiligen Willigis am 23. Februar im Gottesdienst den Schulpatron und im Stadtspiel die Stadt Mainz besser kennen und … und … und fährt in den Sommerferien zum ersten mal mit ins Zeltlager. Das ist nun ein wahres Abenteuerleben, von dem er schon immer geträumt hat: Zelten, Lagerfeuer, Wachbleiben bis Mitternacht, Nachtwache und Überfäller fangen, Abenteuerspiele, Staudamm bauen am Bach, Gottesdienst im Freien, nach Regen eine Schlammschlacht veranstalten und Gräben ziehen, damit das Wasser vom Platz auch wieder ablaufen kann. Nach einer Woche bedauert er, dass er schon wieder nach Hause fährt und beneidet die Mittelstüfler, die noch 3 Tage dranhängen.

Das Zeltlager ist sicherlich einer der Höhepunkte der Jugendverbandsarbeit. Inzwischen wird in der “Jugendarbeitsszene“ gern über geschlechtsspezifische Pädagogik diskutiert; Zeltlagerleben war schon spezifische Jungenarbeit, bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Leider gehen die Diskussionen zu oft davon aus, dass Jungen oder Männer Defizite gegenüber den Frauen haben, z. B. ihre Gefühle nicht zeigen können oder aggressiv sind, und dass die Pädagogik diese Defizite abbauen soll. So wichtig manche Erkenntnisse und Ansätze auch sind, möchte ich die Stärken nicht vergessen und auch damit arbeiten: Im Zeltlager können die Jungen ihren Bewegungsdrang ausleben, der Abenteuerlust im geschützten Bereich nachgehen, schöpferisch sein. Es gibt Aufgaben und Spiele, die als Wettbewerb ausgelegt sind und Spiele, die nur gemeinsam gelöst werden können. Perfekt ist ein Zeltlager, in dem es gelingt, aus den vielen Erlebnissen Erfahrungen werden zu lassen, die die Kinder und Jugendlichen auch in ihren Alltag übertragen können.

Willi ist inzwischen in der 8. Klasse und läßt sich am liebsten mit “Will“ anreden, mit breitem amerikanischem “Dabbelju“ am Anfang, weil dies viel cooler ist. Und cool zu sein ist im Moment sein Hauptziel. Die Schulgottesdienste findet er mittlerweile manchmal etwas kindisch und er kommt entweder etwas zu spät oder extra früh, damit er in der letzten Reihe sitzen kann, um sich angemessen davon zu distanzieren. Aber Willi hat Glück: sein Gruppenleiter hat den richtigen Umgang mit seinen 8.-Klässlern. Er läßt ihnen genügend Freiraum, in einer Gruppenstunde auch einmal nur cool rumzuhängen, findet aber immer wieder Ideen, sie mit Dingen zu beschäftigen, die sie interessieren und persönlich weiterbringen und schließlich bleibt das Fußballspielen weiterhin ein Dauerbrenner, wo sollen sie denn sonst auch hin mit ihrer neuen Kraft.

Ich halte nichts davon, Jugendlichen immer etwas Sinnvolles abzuverlangen. Es gehört dazu, auch einmal nur zu gammeln und dabei zu reden und zu träumen und sich zu distanzieren. Noch nie war ein guter Gruppenleiter so wertvoll wie heute. Auch wenn es die Jugendlichen ihn selten spüren lassen, ist er mehr oder weniger Vorbild. Auf ihre Eltern, Lehrer und andere Autoritäten hören sie nur begrenzt, ein älterer Jugendlicher oder junger Erwachsener hat noch einmal einen eigenen Zugang zu ihnen. Gerade jetzt ist es eine hohe Kunst, den Jugendlichen den richtigen Freiraum zu bieten; keine Grenzenlosigkeit aber dennoch Freiraum. Nach meinem Verständnis sollte Schulseelsorge auch ein Anwalt für diesen Freiraum sein. Gerade in einer Schule ist vieles geregelt und vorgegeben, weil es wahrscheinlich auch gar nicht anders funktionieren könnte. Und ich kenne keinen Ort in unserer Gesellschaft, an dem so viele Jugendliche für so lange Zeit so eng zusammenkommen, – vielleicht noch in einer Disko, aber in der Schule wird noch eine andere Art von Beteiligung verlangt als in der Disko. Und die Schule stellt die Forderungen ja nicht zum Selbstzweck sondern mit der Absicht, den Schülern möglichst viele Chancen für das spätere Leben zu geben. Andererseits ist es kein Geheimnis, dass viele Heranwachsende in unserer Gesellschaft mit diesen besten Absichten überfordert werden.

“Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde“ heißt ein anregendes, provozierendes, aber auf jeden Fall lesenswertes Buch. Der Autor schreibt darin: “Huckleberry Finn hatte Glück, daß er keine Eltern hatte, die aus Sorge um die Zukunft ihrer Kinder diese zu Sklaven machen, diesen … Wettbewerb und Leistung aufnötigen, wo Raum für spontanes Spielen, Ausprobieren, Sinnenlust und Spaß erforderlich wäre.“ (E. Schiffer: Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde. Anstiftung gegen Sucht und Selbstzerstörung bei Kindern und Jugendlichen, Weinheim ²1999, S. 16). Diesen Raum zum Ausprobieren usw. können die Jugendverbände bieten und ich bin sehr dankbar, dass es in der Schule nicht nur den ideellen sondern auch die tatsächlichen Räume in der 100er Ebene gibt, wo dieses möglich ist. So kann Schulseelsorge einen Freiraum ermöglichen und muß meiner Meinung nach inmitten aller Forderungen immer wieder daran erinnern, dass Leistung zwar wichtig aber nicht alles ist.

In der 10. Klasse stehen für Willi die Besinnungstage auf dem Programm. Er hat inzwischen die unangenehmsten Seiten der Pubertät überwunden und manche sagen, dass man sich mit ihm zumindest an manchen Tagen wie mit einem Erwachsenen unterhalten kann. Auch ist das Ende der Sekundarstufe I abzusehen und in der Oberstufe wird noch einmal neu seine Eigenverantwortung gefragt sein. Die Besinnungstage kommen Willi jetzt gerade recht, um sich einmal über sein Leben überhaupt Gedanken zu machen; und dass seine Klasse dafür vom Unterricht befreit wird, – um so besser. So macht er sich denn eines Montags auf nach Vallendar. Dort spürt Willi, dass er als Person gefordert ist, er hat Gelegenheit und Zeit, seine Gedanken und Gefühle zu äußern Das fällt ihm nicht leicht, aber er merkt, dass eine Atmosphäre in der Kleingruppe entstanden ist, in der es möglich ist. Sonst werden die Meinungen anderer oft nur als Gelegenheit gesehen, einen dummen Spruch draufzusetzen. Während der Besinnungstage wird er ernst genommen und der Teamer achtet sehr gut darauf, dass jeder seinen Wert hat. Wenn Willi in ein, zwei Jahren an die Besinnungstage zurückdenkt, werden ihm wahrscheinlich nicht mehr die Themen einfallen, über die er gesprochen hat, aber er wird sich an die Atmosphäre erinnern, an das Gefühl, dass es hier wirklich um ihn selbst ging, und dass er akzeptiert wurde, so wie er war. Vielleicht wird er an ein bestimmte Einheit denken oder an die ausgelassene Stimmung am letzten Abend, wo er auch ohne Alkohol Spaß hatte, oder daran, dass er mit einem Klassenkameraden, den er vorher noch gar nicht so gut kannte, die halbe Nacht im Zimmer geredet hat. Was bleibt ist das Gefühl, dass es gut war, und die vielleicht noch unbewußte Erkenntnis, dass es sich lohnt, sich mit sich selbst zu beschäftigen.

 Nach Aussage eines ehemaligen Schülers, der später im Besinnungstageteam mitgewirkt hat, sind die Besinnungstage vielleicht das Beste, was die Schule zu bieten hat. So viel Eigenlob ist sicherlich vermessen, aber etwas Besonderes sind die Besinnungstage auf jeden Fall. Ein Schulseelsorger und jeweils drei Student/innen, die sich monatlich treffen um sich weiterzubilden, bilden das Team. Es wird in Kleingruppen gearbeitet, das heißt 5-7 Personen und ein Teamer arbeiten während der vier Tage zusammen. Jeder Schüler hat genug Zeit, sich zu äußern, denn der Teamer kann auf die Gruppe und auf jeden einzelnen eingehen und wenn er merkt, dass ein Thema oder eine Methode nicht passt, kann er schnell reagieren. Unsere Besinnungstage sind weitgehend “prozessorientiert“, d. h. es steht nicht von Anfang an genau fest, was am Ende herauskommen soll. Lediglich am Anfang wird das grobe Thema “Wer bin ich? vorgegeben; die weiteren Themen überlegt sich die Gruppe selbst. Dieses prozessorientierte Arbeiten ist für mich ein Grundsatz jeder Art von Seelsorge: Der Mensch hat selten ein klar umrissenes Lebensziel vor Augen, oft entwickeln sich die Ziele erst auf dem Lebensweg. Seelsorge begleitet auf diesem Weg, nimmt den Menschen bei Bedarf auch einmal an die Hand und hilft, das Leben vor Gott zu deuten oder bringt die Frage ein, welches Ziel oder welchen Weg Gott für den Einzelnen vorgesehen haben könnte. Das vollzieht sich im Kleinen auf den Besinnungstagen und ist im Großen bleibende Aufgabe von Kirche und Seelsorge.

Für Willi passiert noch mehr Wichtiges in der 10. Klasse: er stellt sich in seinem Jugendverband als Gruppenleiter zur Wahl. Nach seinen Gründen gefragt, kann er gar nicht viel mehr sagen, als dass er den Spaß und die Gemeinschaft, die er selbst erfahren hat, auch an andere weitergeben will. Im Zeltlager hat er schon gelegentlich ausprobiert, Jüngere zu führen und zu beschäftigen. Nun wartet er gespannt auf das Wahlergebnis, denn auch in diesem Jahr gibt es mehr Bewerber als die “KCJ“ wohl wählen wird und er weiß nicht wie enttäuscht er sein wird, wenn er abgelehnt würde. Aber es geht gut für ihn aus, die Leiterrunde wählt ihn und nun beginnt die spannende Vorbereitung der Sextanerwerbung. Er überlegt mit seinen Freunden, was sie Tolles bieten können, um selbst gut dazustehen und die anderen auszustechen. Dankenswerterweise bekommen sie von der Schule einen Raum zur Verfügung gestellt, in dem sie die Kinder beschäftigen und hoffentlich auch begeistern können. Während der Vorbereitung denkt Willi oft an seine eigene Sextanerzeit zurück und irgendwo in seinem Inneren spürt er , dass er jetzt wirklich so langsam auf das Erwachsensein zugeht, denn er übernimmt nicht nur immer mehr Verantwortung für sich selbst sondern nun zum ersten Mal auch für andere. Bei seiner Aufgabe wird er von der Leiterrunde unterstützt, durch die er nun auch mehr persönlichen Kontakt zu den beiden katholischen Schulseelsorgern hat.

Einer meiner Arbeitsschwerpunkte ist die Begleitung der Gruppenleiter der Jugendverbände. Was ich da mache? Die Aufgaben sind offen beschrieben: Der EMI (Erwachsener Mitarbeiter) “… ist u. a. Bindeglied zwischen Leitungsrunde, Schule und Kirche. Er ist beauftragt, sich in besonderem Maße für das Wohl der Ortsgemeinschaft verantwortlich zu zeigen.“ (aus der Mustersatzung der GCL). Mein persönliches Ziel in diesem Rahmen ist es, die Jugendlichen zu Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit anzuleiten und das christliche Lebensideal einzubringen. Ich wünsche mir, die Heranwachsenden soweit zu begleiten und zu fördern, dass sie ohne Unterstützung eines Erwachsenen ihre Aufgaben erfüllen können.

Bildlich gesprochen ist die Aufgabe eines Seelsorgers, in einer Wüste einen Brunnen zu bohren, diesen zu pflegen und zu schützen bis sich eine selbständige Oase gebildet hat und dann in der Wüste weiterzuziehen, um einen neuen Brunnen zu erschließen. Im Falle einer Schule ziehe aber nicht ich, sondern die Oase weiter, weil Schüler (und mit Ihnen die Eltern) aus der Schule herauswachsen. Ein schöner Erfolg ist es, wenn die Schülerinnen und Schüler einen Brunnen in sich tragen, der sie selbst und andere nährt.

Klaus Heizmann, mein Vor-Vor-Vorgänger hat seinen Beitrag über Erfahrungen in der Schulseelsorge für die Festschrift zum 25jährigen Jubiläum der Pastoralreferenten mit der Frage überschrieben “Was machen Sie eigentlich?“ Seinen Gedanken dazu kann auch ich mich anschließen. Er schreibt von der Gefahr andere zu verdrängen damit die eigene Position klar wird. Aber er sieht auch die Chancen: “Es ist (zwar) verlockend, Positionen einzunehmen, die gut sichtbar sind, strukturell gesichert. Aber entsprechen uns nicht mehr die Räume %u2019dahinter%u2019: begleiten, bestätigend, fördernd, entdecken, helfend, erinnernd, begeisternd …?!“ (Horizonte überschreiten. 25 Jahre Pastoralreferentinnen und -referenten im Bistum Mainz, Mainz 1998; S. 77 (= Mainzer Perspektiven 12)).

Willi hat eine erfolgreiche und schöne Zeit in der Oberstufe, die schulischen Leistungen stabilisieren sich und das Gruppenleiterdasein erfüllt ihn auch. Er weiß die Freiräume zu nutzen, die ihm die Oberstufe bietet und manchmal geht er sogar noch in die Schulgottesdienste. Als er dann nach 9 Jahren Willigis sein Abiturzeugnis in den Händen hält, ist er erst einmal nur froh, es geschafft zu haben und nie mehr in die Schule gehen zu müssen. Ein paar Tage später denkt er aber dann doch zurück und merkt, dass es alles in allem eine schöne Zeit war.

In diesem fiktiven Lebenslauf Willis habe ich vieles sehr positiv dargestellt und anderes ist ungenannt geblieben: die Besinnungstage für die 13er, das spezielle Angebot für die Realschule, nämlich die Mädchenbesinnungstage, die Orientierungstage in der 8. Klasse, die Mitarbeit an vielen Projekten, Suchtprävention, Sozialpraktikum und Soziales Projekt, Friedenslicht aus Betlehem, Unterstützung von Spendenprojekten usw. Es gibt sicherlich noch viele Aufgabenfelder, die zur Zeit eher brach liegen: ein stärkerer Kontakt zum Schulelternbeirat bzw. überhaupt zu den Eltern, das religiöse Profil der Schule zu schärfen, die Frage nach den Gottesdiensten für Oberstufenschüler, ein stärkeres Angebot der Meditation, Angebote für die Lehrkräfte, besonders für die religiös interessierten u.v.m. Aber leider war seit 1996 kaum Kontinuität im Team der Schulseelsorge möglich: der Wechsel von Pfr. Ritzert zu Pfr. Hock, danach der Wechsel von Fr. von Döhren zu Pfr. Knöll, der Wechsel von Herrn Hach zu Herrn Münster, der Stellenwechsel von Fr. Röhrig, der mit einer Stellenkürzung verbunden war (über ein Drittel der Seelsorgedeputats!) und ab dem Schuljahr 2000/01 wird das Konzept des Bistums umgesetzt, dass jeder Schulseelsorger auch unterrichten muss. Dies erfordert wieder eine Stellenänderung und mit der Einstellung von Pastoralreferentin Frau Schwarz eine neue Einarbeitungsphase. In den letzten Jahren war es schon ein Erfolg, das Bestehende aufrecht zu erhalten, obwohl es schon lange wichtig gewesen wäre, Neues zu beginnen und schöpferisch zu sein.

A. Münster